Arminia im Pokalfinale – Einordnung eines Fans und Fußballstatistikers

Letzten Samstag war Pokalfinale. Und Arminia Bielefeld war dabei. Das erste Mal in der Vereinsgeschichte. Das Spiel ging verloren, fairerweise muss man sagen, der VfB Stuttgart hat absolut verdient gewonnen. Glückwunsch. Aber was bedeutet dieser Finaleinzug für einen Drittligisten wie Arminia Bielefeld? Ich starte hier den Versuch einer (objektiven) Einordnung.

Das größte Spiel der Vereinsgeschichte

Ich bin seit Anfang der 1980er Jahre Arminia-Fan. Ich muss zugeben, dass ich vorher mal mit Bayern München sympathisiert habe, da war ich als Minderjähriger aber noch nicht moralisch gefestigt. Spätestens mit zwölf oder dreizehn Jahren hatte sich das aber gelegt. Ich kann mich an ein paar aufwühlende und große Spiele erinnern, ein paar davon im Stadion, viele im TV, aber nichts kommt an die sporthistorische Bedeutung des Pokalfinales vom 24.5.2025 heran. Nicht die beiden Westdeutschen Meisterschaften in den 1920er Jahren, verbunden mit Viertelfinalteilnahmen um die Deutsche Meisterschaft. Und ebenso nicht die beiden achten Plätze in der Bundesliga in den Saisons 1982/83 und 1983/84. Ich hätte es sicherlich besser gefunden, wenn wir gewonnen hätten. Im Endspiel ging alles irgendwie viel zu schnell. Es war Arminia Bielefelds größtes Spiel der Saison, das größte Spiel in 120 Jahren Vereinsgeschichte und dann ist das Ding nach 30 Minuten schon entschieden. Der VfB hat keine Nerven gezeigt und unsere Fehler gnadenlos ausgenutzt. Glückwunsch nachträglich Richtung Stuttgart. Immerhin haben wir die 2. Halbzeit gewonnen.

Eine formidable Saison 2024/25

Das Erreichen des Finales wird definitiv einen besonderen Platz in Arminias Annalen bekommen, aber wer weiß, wann sich uns noch einmal eine solche Gelegenheit bietet. Es wäre schön, wenn das nächste Pokalfinale – und dann mit besseren Ende für uns – nicht wieder 120 Jahre auf sich warten lassen würde. Allein der Gedanke daran allein macht das Verdauen der Niederlage nicht so einfach, auch wenn das, was passiert ist, absolut normal und erwartbar war. Wir waren in fünf Duellen mit höherklassigeren Gegnern die bessere Mannschaft. Beim sechsten Mal war es dann nicht mehr so. Wenigstens haben wir das wichtigste Ziel der Saison, den Aufstieg in die 2. Liga, klargemacht. Mit einem unglaublichen Lauf in der Rückrunde wurde die Drittligameisterschaft eingetütet. Und dann war ja heute noch das Landespokalfinale. Da waren wir nicht der Underdog, sondern der Regionalligist Sportfreunde Lotte. Und was soll ich sagen, die Sportfreunde haben das gemacht, was wir auch gemacht haben, nämlich ihre Außenseiterrolle bestätigt und gegen uns verloren. Für uns ist der Titel Westfalenpokal mehr als ein Trostpflaster, er ist ein Sahnehäubchen am Ende einer tollen Saison.

Wer ist der beste Underdog?

Der Ausdruck Underdog als alternative Bezeichnung für einen sportlichen Außenseiter hat seinen Ursprung im England des 19. Jahrhunderts, als Hundekämpfe populär waren. Die unterlegenen Hunde wurden als Underdogs bezeichnet, die siegreichen Hunde waren die „top dogs“. Da ich nebenbei ein wenig Fußballstatistik betreibe – ich führe diverse „Ewige Tabellen“ und schreibe diese laufend fort – hat mich interessiert, wie man den Erfolg von Arminia Bielefeld in dieser Pokalsaison im Vergleich zu anderen Pokalüberraschungen einordnen kann. Dazu habe ich mal alle Pokalsaisons seit 1953 ausgewertet. Die Fußballfreunde aus Mitteldeutschland mögen es mir verzeihen, den FDGB-Pokal habe ich nicht berücksichtigt.

Die tiefen Runs

Für diese Auswertung habe ich mir alle tiefen Runs von unterklassigen Vereinen angeschaut. Bedingung war, dass diese mindestens das Viertelfinale erreicht und auf ihrem Weg mindestens einen höherklassigen Klub ausgeschaltet haben mussten. Das ist bisher gar nicht so selten vorgekommen, wie man denken könnte. Die sogenannten „Pokalsensationen“ gibt es fast jedes Jahr, sind eigentlich gar nicht so sensationell. Um die großen Überraschungen miteinander vergleichen zu können, habe ich ein Bewertungssystem entworfen, das den Leistungsstatus des Underdogs mit einbezieht.

Das Bewertungsschema

Das Bewertungsschema folgt der Idee, dass das Leistungspotenzial der beteiligten Klubs anhand der Liga-Abschlusstabellen der jeweiligen Pokalsaison bewertet wird. Dabei wird etwas feingranularer vorgegangen als nur nach Ligazugehörigkeit, es sollen „Stärkeklassen“ herauskommen, in die jeweils fünf bis sechs Vereine eingruppiert werden. Basierend auf der aktuellen Ligastruktur bedeutet das: Ab Regionalliga abwärts gibt es keine Punkte. Die letzten fünf Vereine der 3. Liga bekommen einen Stärkepunkt, die vorletzten fünf bekommen zwei Stärkepunkte, die Plätze 6 bis 10 erhalten drei Stärkepunkte, die ersten fünf bekommen vier Punkte. Um dem Klassenunterschied zwischen zwei Ligen mehr Gewicht zu verleihen, werden fünf bzw. sechs Punkte nicht vergeben. Die Plätze 13 bis 18 der 2. Bundesliga erhalten dann sieben Punkte. So geht’s weiter bis ganz nach oben. Die Top 6 der 1. Bundesliga erhalten demnach 14 Punkte. Weil das Ligensystem seit 1953 einige Veränderungen durchlaufen hat, muss das Bewertungsschema für frühere Jahre angepasst werden. 1963 wurde erst die Bundesliga eingeführt, die 2. Liga kam erst 1974 dazu, zunächst zweigleisig und ab 1981 eingleisig. Anfang der 1990er Jahre gab es ein paar Verwerfungen wegen der Wiedervereinigung und danach gab es noch ein paar Veränderungen in Sachen dritter Ebene. Ich habe aber immer das Prinzip von fünf bis sechs Vereinen pro Leistungsgruppe gelten lassen und 14 Punkte als Maximalpunktzahl festgehalten. Die Anzahl der Stärkepunkte nenne ich auch Statuszahl. Sie gilt nur für eine Saison. In der folgenden Tabelle ist die detaillierte Punktevergabe aufgeschlüsselt.

Die Berechnung eines tiefen Runs

Wenn ein Außenseiter einen Favoriten schlägt, dann bekommt er die Differenz zwischen der Statuszahl seines Gegners und seiner eigenen Statuszahl gutgeschrieben. Falls auf dem Weg zur „Sensation“ ein Kontrahent geschlagen wird, der in der gleichen Liga spielt, aber eine höhere Statuszahl hat, werden diese Punkte auch berücksichtigt. Um auf eine hohe Punktzahl zu kommen, sollte die eigene Statuszahl also niedrig sein, die der Gegner hoch, und es sollten möglichst viele höherklassige Gegner geschlagen werden.

Die Ergebnisse: Arminia ist die Nummer 1

Zweitligisten haben kaum eine Chance. Beispiel 1.FC Kaiserslautern (Statuszahl 7) als Pokalfinalist in der letzten Saison: Auf dem Weg ins Finale wurde der spätere Bundesligaabsteiger 1.FC Köln (Statuszahl 12) als einziger höherklassiger Gegner aus dem Weg geräumt. Dazu kamen die Zweitligisten Nürnberg und Hertha BSC (jeweils Statuszahl 8), was zu läppischen 7 Punkten führt. Auch die Pokalsiege der Zweitligisten Kickers Offenbach (Saison 1960/70; Statuszahl 9) und Hannover 96 (Saison 1991/92; Statuszahl 7) führen lediglich zu 17 beziehungsweise 30 Punkten, was nicht für die Top 12 reicht. Auch der Lauf von Drittligist Union Berlin (Statuszahl 4, Saison 2000/01) bis ins Finale schafft es mit 25 Punkten nicht in die Rangliste, weil die Gegner nicht hochkarätig genug waren.

Nr. 1: 41 Punkte für den DSC Arminia Bielefeld in der Saison 2024/25

Drittligist Arminia Bielefeld (Statuszahl 4) sammelt 41 Punkte ein. In der ersten Runde ist der Gegner Hannover 96 (Statuszahl 8), in der zweiten Runde wird Union Berlin (Statuszahl 12) geschlagen. Der Gegner im Achtelfinale ist SC Freiburg (Statuszahl 14), bevor im Viertelfinale Werder Bremen (Statuszahl 13) die Segel streichen muss. Im Halbfinale hat schließlich der amtierende Deutsche Meister und Pokalsieger Bayer Leverkusen (Statuszahl 14) das Nachsehen gegen die Arminia. Im Endspiel scheiterte man letztendlich am VfB Stuttgart.

Nr. 2: 39 Punkte für den 1.FC Saarbrücken in der Saison 2019/20

Viertligist 1.FC Saarbrücken (Statuszahl 0) eliminiert auf seinem Weg ins Halbfinale vier höherklassige Gegner. In den beiden ersten Runden sind dies der Jahn Regensburg (Statuszahl 8) und der 1.FC Köln (Statuszahl 12). Danach werden im Achtelflinale Zweitligist Karlsruher SC (Statuszahl 7) und Erstligist Fortuna Düsseldorf (Statuszahl 12) ausgeschaltet. Im Halbfinale beendete Bayer Leverkusen die Hoffnungen der Saarländer auf den Titel.

Nr. 3: 39 Punkte für ETB Schwarz-Weiß Essen in der Saison 1958/59

Der Essener Turnerbund Schwarz-Weiß hat als Zweitligist aus der II. Division West die Statuszahl 0. Die niedrige Statuszahl erklärt sich daraus, dass es die Bundesliga noch nicht gibt, in der Leistungsskala stehen also knapp 80 Erstligisten aufgeteilt auf fünf Oberligen über den Essenern. Am DFB-Pokal nehmen nur fünf Mannschaften teil, jeder Regionalverband schickt einen Vertreter. In der Ausscheidungsrunde besiegt Essen Hertha BSC (Statuszahl 12), im Halbfinale muss der Nordmeister Hamburger SV (Statuszahl 14) dran glauben. Im Finale sichert sich Essen gegen Borussia Neunkirchen (Statuszahl 13) den Titel als DFB-Pokalsieger.

Nr. 4: 37 Punkte für Energie Cottbus in der Saison 1996/97

Die Elf aus der Lausitz (Statuszahl 4) schafft es, auf dem Weg ins Finale fünf höherklassige Gegner beiseite zu räumen. In den beiden ersten Runden sind die Zweitligisten Stuttgarter Kickers und VfL Wolfsburg (beide Statuszahl 9) an der Reihe. Danach erwischt es drei Erstligisten. Im Achtelfinale sind es der MSV Duisburg (Statuszahl 13), im Viertelfinale der FC St. Pauli (Statuszahl 12) und im Halbfinale der Karlsruher SC (Statuszahl 14), die Energie Cottbus nichts entgegensetzen können. Im Finale war der Drittligist allerdings gegen den VfB Stuttgart chancenlos.

Nr. 5: 37 Punkte für Hertha BSC Amateure in der Saison 1992/93

Die zweite Mannschaft von Hertha BSC (Statuszahl 0, Oberliga Nordost-Mitte) war in der ersten Runde gegen SGK Heidelberg sogar noch Favorit. Erst in der zweiten Runde entwickelte man sich gegen den VfB Leipzig (Statuszahl 9) zum Favoritenschreck. Im Achtelfinale wurde mit Hannover 96 (Statuszahl 8) noch ein Zweitligist besiegt, bevor im Viertelfinale mit dem 1.FC Nürnberg (Statuszahl 12) der härteste Brocken ausgeschaltet wurde. Das Finale wurde schließlich gegen den Chemnitzer FC (Statuszahl 8) klargemacht. Dort war dann Bayer Leverkusen Endstation.

Nr. 6 bis 12 im Schnelldurchlauf

35 Punkte / 1998/99 / Eintracht Trier (Statuszahl 0) / Viertligist / Siege gegen Unterhaching (2. Liga), Schalke und Dortmund (jeweils 1. Liga), Mannheim (3. Liga) / Endstation Halbfinale gegen MSV Duisburg

35 Punkte / 1994/95 / Bayern München Amateure (Statuszahl 0) / Drittligist / Siege gegen Stuttgart (1. Liga), Chemnitz (2. Liga) und Bremen (1. Liga) / Niederlage im Viertelfinale gegen VfL Wolfsburg

35 Punkte / 2020/21 / Rot-Weiss Essen (Statuszahl 0) / Viertligist / Siege gegen Arminia Bielefeld (1. Liga), Fortuna Düsseldorf (2. Liga) und Bayer Leverkusen (1. Liga) / Endstation Viertelfinale gegen Holstein Kiel

33 Punkte / 1967/68 / VfL Bochum (Statuszahl 5) / Zweitligist / Siege gegen Karlsruhe, Stuttgart, Gladbach, Bayern (alle 1. Liga) / Niederlage im Finale gegen den 1.FC Köln

33 Punkte / 2023/24 / 1.FC Saarbrücken (Statuszahl 4) / Drittligist / Siege gegen Karlsruhe (2. Liga), Bayern, Frankfurt und Gladbach (alle 1. Liga) / Endstation Halbfinale gegen 1.FC Kaiserslautern

33 Punkte / 2005/06 / FC St. Pauli (Statuszahl 3) / Drittligist / Siege gegen Burghausen, Bochum (2. Liga), Hertha und Bremen (1. Liga) / Endstation Halbfinale gegen Bayern München

31 Punkte / 2014/15 / Arminia Bielefeld (Statuszahl 4) / Drittligist / Siege gegen Sandhausen (2. Liga), Hertha, Bremen und Gladbach (alle 1. Liga) / Endstation Halbfinale gegen VfL Wolfsburg

31 Punkte / 2000/01 / 1.FC Magdeburg (Statuszahl 0) / Viertligist / Siege gegen Köln, Bayern München (beide 1. Liga) und Karlsruhe (3. Liga) / Endstation Viertelfinale gegen Schalke 04

Kein Titel, aber ein Rekord, der länger halten könnte

Der Titel des größten Pokalschrecks aller Zeiten ist kein wirklicher Titel. Es ist jedoch ein Rekord, der durchaus länger halten könnte. Theoretisch kann ein Regionalligist 84 Punkte holen, wenn er die Top 6 der Bundesliga rausschmeißt und den Pokal holt. Selbst ein Zweitligist aus dem unteren Tabellendrittel könnte bei Siegen über die sechs besten Bundesliga-Klubs noch 42 Punkte holen und den Rekord vom DSC brechen. Arminia Bielefeld hält nicht so viele Rekorde im deutschen Fußball und der des Pokalschrecks wäre mindestens mal so lange ein schöner Rekord, bis wir den Pokal dann endlich mal gewinnen.